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Der Mythos der deutschen Atombombe

 



 

 

 

 

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Gab es eine deutsche Atombombe?

 

Diese Frage ist 1998 wieder ins öffentliche Interesse gerückt durch zwei literarische Arbeiten: Michael Frayn hat in seinem Theaterstück Kopenhagen die schicksalhafte Begegnung zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg im September 1941 dramatisch aufgearbeitet und in dem Thriller Das Klingsor Paradox lässt der mexikanischen Schriftstellers Jorge Volpi einen amerikanischen Journalisten im Nachkriegsdeutschland nach dem verborgenen Parameter der deutschen Atombombe fahnden [Volp98].

 

Sucht man im Internet nach dem Begriff Deutsche Atombombe, so wird man zusätzlich zu den historischen Tatsachen mit recht eigenartigen Informationen bedient, die in der Behauptung gipfeln, die Amerikaner hätten das für eine deutsche Bombe bestimmte Uran erbeutet und anschließend in ihrer Hiroschima-Bombe verwendet. Diese Behauptung ist nur halbwahr. Wahr ist, dass die Amerikaner im Rahmen der ALSOS-Mission nicht nur das restliche Uran aus Haigerloch (für Heisenbergs Reaktor-Versuche), sondern auch das Uran-Roherz (Pechblende), das in der Stadt Leopoldshall (bis 1946 anhaltische Stadt bei Staßfurt, heute zu Staßfurt gehörend) 37 km südlich von Magdeburg in einem überirdischen Salzspeicher zwischengelagert war, im mindestens zweistelligen Tonnenbereich im April 1945 nach Hannover per Bahn abtransportiert haben. Das Erz wurde von dort über eine Luftbrücke direkt zum Manhattan-Projekt in die USA ausgeflogen*. Dieses Uran kam jedoch für die über Hiroschima abgeworfene Bombe zu spät.

*Ich danke Herrn Stadtrat Wiest aus Staßfurt für diese Information

 

Es sei hier deutlich gesagt: Es hat eine deutsche Atombombe nie gegeben. Selbst beim Bau eines Kernreaktors hatte die Entwicklung in Deutschland bei Kriegsende höchstens den Stand, den die USA bereits 1940 erreicht hatten.

 

Die Geschichte der Atombombe ist häufig behandelt worden. Ich erinnere an das ein wenig in die Jahre gekommene Buch von Robert Jungk Heller als tausend Sonnen, Das Schicksal der Atomforscher, in welchem der Autor auch auf das deutsche Atomprogramm eingeht [Jung58].

 

Später schrieb David Irving sein Buch:The German Atomic Bomb, The History of Nuclear Research in Germany.

 

Eine besonders ausführliche Schilderung der deutschen Atombombenentwicklung hat Thomas Powers in Heisenberg's War, The Secret History of the German Bomb gegeben. Zu Recht bekam er für sein Buch den Pulitzer Preis. Die Informationen sind sauber und detailliert recherchiert und die Geschichte wird spannend erzählt [Powe93].

 

 

 

Dagegen versprüht Paul Lawrence Rose in seinem Buch Heisenberg and the Nazi Atomic Bomb Project, A Study in German Culture einen unversöhnlichen Hass gegen Heisenberg und seine deutschen Kollegen. Rose wirft Heisenberg nicht nur Heuchelei und Unwahrheit vor, sondern unterstellt ihm darüber hinaus Unfähigkeit in seinem Fach [Rose98].

 

Heisenberg selbst hat in seiner Autobiographie Der Teil und das Ganze auf nur wenigen Seiten seine eigene Version der Atomforschung im 3. Reich dargestellt [Heis69]. 

Max von Laue 1959

 

Arnold Sommerfeld 

 

Max Born 1959

 

Paul Dirac 1959

 

 

Die Physik in Deutschland in den Zwanziger Jahren

 

 Vor dem ersten Weltkrieg waren deutsche Forscher auf dem Gebiet der Physik führend. Dafür stehen die Nobelpreisträger :

 

Wilhelm Conrad Röntgen, der Entdecker und Erforscher der nach ihm benannten Strahlen,

 

Max von Laue, der durch Beugung der Röntgenstrahlen an Kristallen nachwies, dass es sich dabei um elektromagnetische Wellenstrahlung handelt,

 

Max Planck, der mit der Einführung des nach ihm benannten Wirkungsquantums die Tür zur modernen Physik, der Quantenmechanik weit aufstieß und schließlich

 

Albert Einstein, der den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Arbeiten zum Photoeffekt bei Metallen erhielt, bei der der Korpuskularcharakter der Lichtstrahlung in Erscheinung tritt.

 

Erstaunlicherweise setzte sich nach dem verlorenen Ersten Krieg in Deutschland dieser Höhenflug der Physik fort mit Männern wie:

 

Arnold Sommerfeld, Nestor der Theoretischen Physik und Lehrer Heisenbergs,

 

James Franck, der gemeinsam mit Gustav Hertz den Nobelpreis für den Nachweis Anregung der Atome durch Elektronenstoß erhielt,

 

Otto Stern und Walter Gerlach, die das magnetische Moment der Atome nachwiesen,

 

Max Born, der zusammen mit Pascual Jordan und Werner Heisenberg in der berühmten Dreimännerarbeit die Grundlagen der Quantenmechanik erarbeitete,

 

Walther Bothe und Hans Geiger mit ihren Versuchen zum Compton Effekt, und die begabten

 

Rudolph Peierls, Student und Hans Bethe, Assistent Heisenbergs.

 

 

Goldene Jahre in Göttingen

 

 Wer in den 20-er Jahren Physik studieren wollte, kam obligatorisch nach Deutschland und lernte nebenbei auch die Landessprache. So der Engländer Paul Dirac, der Italiener Enrico Fermi und der Amerikaner Robert Oppenheimer, der 1927 in Göttingen bei Max Born mit Auszeichnung promovierte.

 

Waren die Physikkenntnisse der Ausländer ausgezeichnet, so haperte es manchmal bei den Deutschkenntnissen. Bekannt geworden ist die Geschichte des englischen Astrophysiker Bob Robertson. Der wollte einen Brief nach Hause schicken und ging, um dessen Gewicht festzustellen, in ein Göttinger Schreibwarengeschäft. Dort bat er die junge attraktive Verkäuferin: Fraulein haben Sie eine Wiege, ick mochte etwas wagen.

 

Die Universität Göttingen wurde Anfang der 20-er Jahre zum Mekka der modernen Physik vor allem dehalb, weil hier die mathematische Fakultät mit David Hilbert, Richard Courant, Hermann Weyl und Johann von Neumann die notwendigen Rechenwerkzeuge für die moderne Physik entwickelte.

 

Im Deutschland der Zwanziger Jahre studierten nicht nur viele Ausländer, sondern sie forschten auch in leitenden Stellungen an Universitäten und Instituten. So z. B. der Holländer Pieter Debye, der Schweizer Felix Bloch, die Italiener Gian Carlo Wick und Edoardo Amaldi, die Österreicher Lise Meitner (die bekannte Mitarbeiterin Otto Hahns, die dem Chemiker häufig sagte: Hähnchen, die Physik ist für dich viel zu schwer), Otto Frisch, Fritz Houtermans, Georg Placzek und Victor Weißkopf sowie die Ungarn Eugen Wigner, Leo Szilard und Eduard Teller, der in Leipzig bei Heisenberg promovierte. Die Ungarn kamen in den 20-erJahren nach Deutschland, weil ihnen als Juden in ihrem Land das Physikstudium verwehrt wurde.

 

 

Machtergreifung und Niedergang der deutschen Wissenschaft

 

Die Machtergreifung der Nazis trieb die deutsche Wissenschaft eine Katastrophe. Von 1933 bis 1938, als nach und nach die Rassengesetze den Juden jedwede höherwertige Tätigkeit verboten, gab es einen Massenexodus der geistigen Elite aus Deutschland, der in seiner Bedeutung nur vergleichbar der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich als Folge der Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes durch Ludwig XIV. ist. 

 

 

Die in Deutschland tätigen jüdischen Physiker emigrierten nach Skandinavien, Großbritannien und vor allem in die USA. Später tauchen viele der oben erwähnten Namen als führende Köpfe beim Manhattan-Projekt auf, dem Entwicklungsprogramm der amerikanischen Atombombe.

 

Der wissenschaftliche Aderlass im 3. Reich hatte einen doppelt negativen Effekt: einerseits machte die deutsche Atomforschung im 2. Weltkrieg nur geringe Fortschritte, andererseits ermöglichte der Zugewinn der in Deutschland ausgebildeten physikalischen Elite die raschen amerikanischen Erfolge bei der Entwicklung der Atombombe.

Otto Hahn 

 

 

Atomzertrümmerung und die Möglichkeit einer Kettenreaktion (1938)

 

Nachdem der Engländer James Chadwig im Jahre 1932 das Neutron entdeckt hatte, beschossen in den Dreißiger Jahren Wissenschaftler in vielen Laboratorien schwere Atome mit diesen ungeladenen Teilchen in der Hoffnung, durch Neutroneneinfang und anschließender Kernumwandlung schwerere Elemente als Uran, d. h. Transurane, zu erzeugen.

 

Da fand Otto Hahn im Dezember 1938 beim Beschuss von Uran mit Neutronen keine schwereren Kerne, sondern das leichtere Element Barium. Er hatte damit, wie er es selbst formulierte, die Kernzerplatzung entdeckt. In den Weihnachtsferien wies seine ehemalige Mitarbeiterin Lise Meitner, die inzwischen im Exil in Schweden lebte, zusammen mit ihrem Neffen Otto Frisch, der aus Deutschland zu Niels Bohr nach Kopenhagen geflohen war, auf die ungeheure Energie hin, die bei der Spaltung eines Urankerns frei wird.

 

Bereits im März 1939 zeigte dann Leo Szilard, der nach seiner Flucht aus Deutschland als Assistent an der Columbia University untergekommen war, dass es bei der Spaltung von Uran 235 zu einer Vermehrung von Neutronen kommt. Damit war eine Kettenreaktion möglich und somit der Bau einer energieerzeugenden Maschine oder einer Bombe. 

 

Eduard Teller

 

 

Die Furcht vor einer deutschen Atombombe (1939)

 

Erschreckt nahm Leo Szilard Kontakt zu seinen Kollegen Eugen Wigner, Eduard Teller und Victor Weißkopf auf. Wigner, der bereits vor 1933 in die USA emigriert war, bekleidete damals eine Professur in Princeton, Teller hatte eine Stelle an der George-Washington-Universität gefunden und Weißkopf war Professor in Rochester. Die vier Männer hatten schon länger nichts mehr über die deutsche Atomforschung erfahren. So vermuteten sie, dass man dort bereits im Geheimen an einer Bombe arbeitete.

 

Als dann Siegfried Flügge im Juni 1939 einen ausführlichen Artikel über Kettenreaktionen in Uran veröffentlichte, werteten die vier Männer dies als positiven Beweis ihrer Annahme. Niemals hätte das Naziregime eine solch brisante Veröffentlichung zugelassen, wenn man in Deutschland in der Atomforschung nicht schon sehr weit fortgeschritten wäre.

 

Ein Besuch Heisenbergs zu einer Vortragsreise in die USA im Herbst 1939 verstärkte bei seinen amerikanischen Kollegen die Furcht vor einer deutschen Bombe. Es waren nicht so sehr Heisenbergs Diskussionen etwa mit Enrico Fermi über die technische Unmöglichkeit einer Atombombe (allgemein glaubte man damals, eine Bombe benötige mehrere Tonnen reines Uran 235), sondern eher seine Ablehnung, dem Naziregime den Rücken zu kehren, die bei seinen amerikanischen Kollegen ein großes Misstrauen auslösten.

 

Tatsächlich aber hatte es bis dato in Deutschland unter den im Rahmen der Technischen Reichsanstalt lose in einem Uranverein verbundenen Physikern lediglich zaghafte Überlegungen zum Bau einer Maschine zur Energieerzeugung, sprich eines Reaktors, gegeben.

 

Die Ausländer Szilard, Teller, Wigner und Weisskopf wussten sehr wohl, dass ihr Wort in den USA nichts galt, doch sie gewannen Einstein dafür, seinen ersten Brief über die Gefahr einer deutschen Atombombe an Präsident Roosevelt zu schreiben. Ausgerechnet der Friedensfreund Einstein gab letztlich den Anstoß zum amerikanischen Manhattan-Projekt. Nach dem Krieg sagte er: Wenn ich gewusst hätte, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, eine Atombombe zu bauen, hätte ich keinen Finger gerührt.

 

 

Erste Entscheidung für ein deutsches Atomprogramm (1939)

 

Etwa zur gleichen Zeit im September 1939 trafen die in Deutschland verbliebenen Atomforscher mit Militärs und Regierungsvertretern im Heereswaffenamt in Berlin zusammen, um über eine kriegstechnische Verwendung der Kernspaltung zu beraten. Es wurde entschieden, das Programm des Uranvereins für den Bau einer Maschine nun innerhalb des Physikalischen Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (der heutigen Max-Planck-Gesellschaft) zu koordinieren.

 

 

Direktor dieses Instituts war aber ein Holländer, der Nobelpreisträger Pieter Debye, den man nötigte, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Er weigerte sich jedoch, ging auf eine Vortragsreise in die USA und kehrte von dort nicht zurück. Man hatte ihm eine Professur an der Cornell University angeboten. Darauf bestellte man Heisenberg zu seinem Nachfolger, der damit Koordinator des deutschen Atomprojekts wurde. Er nannte sich unter Wahrung der Position Debyes freilich nur Direktor am Institut.

 

 

 

Stand des Wissens in der Kernphysik Anfang der 40-er Jahre

 

Um 1941 wusste man sowohl in Deutschland und den USA, dass eine Kettenreaktion mit dem seltenen Uranisotop 235 möglich ist. Alles deutete darauf hin, dass auch ein neues Element, welches beim Neutroneneinfang im störenden Uran 238 gebildet wird - wir kennen es heute als Plutonium - spaltbar ist. Eine Trennung der beiden Uranisotope erfordert aufwändige technische Verfahren wie Massenspektrometer, Diffusions- oder Gaszentrifugenanlagen, während Plutonium und Uran sich relativ einfach chemisch trennen lassen.

 

Zur Herstellung von Plutonium benötigt man einen Reaktor, den man grundsätzlich auch mit Natururan, also Uran 238, welches nur 0.7% Uran 235 enthält, bauen kann. Man muss dafür sorgen, dass die bei der spontanen Spaltung entstehenden schnellen Neutronen durch den Einsatz von Moderatoren wie Graphit oder schwerem Wasser in elastischen Stößen rasch heruntergebremst werden, bevor sie von dem reichlich vorhandenen Uran 238 eingefangen werden. Als langsame Neutronen können sie dann mit dem geringen Anteil des Isotops 235 im Natururan reagieren. Durch dessen Spaltung werden weitere zu einer Kettenreaktion notwendigen Neutronen erzeugt, der Reaktor ist dann kritisch. Wie schon erwähnt, führt der Einfang von Neutronen im "störenden" Uran 238 des Reaktors zur Erbrütung von spaltbarem Plutonium. Als Moderatormaterial in einem Reaktor sollte Wasserstoff oder Wasser ideal sein, doch Wasserstoff fängt ebenfalls Neutronen (unter Bildung von Deuterium) ein, so dass eine Kettenreaktion mit Natururan unmöglich wird. Darum muss man als Moderatormaterial in einem Reaktor mit natürlichem Uran entweder schweres Wasser oder Graphit  verwenden.

 

 

Die amerikanische Atomforschung (1940/41)

 

In den USA hatte auch ein zweiter Brief Einsteins an Roosevelt über eine mögliche deutsche Atombombe zunächst keine Folgen. Erst als man erfuhr, dass die Engländer ernsthaft an Atomprojekten arbeiteten und nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor kam es in Amerika im Dezember 1941 zu ersten Schritten in Richtung Manhattan-Projekt.

 

In Großbritannien hatten die ehemaligen Deutschen Rudolph Peierls und Klaus Fuchs, der nachmalige Atomspion, die notwendige Menge spaltbaren Materials d. h. die kritische Masse für eine Bombe berechnet. Danach benötigt man zum Bau einer Atombombe, die im Gegensatz zum Reaktor mit schnellen Neutronen funktioniert, 23 kg reines U 235 aber nur 6 kg Pu 239. In den USA ist man beim Bau der Bombe bekanntlich beide Wege gegangen. Die Bombe auf Hiroshima war eine Uranbombe (Little Boy), die auf Nagasaki eine Plutoniumbombe (Fat Man).

 

Treibende Kraft für den Bau einer amerikanischen Atombombe waren die aus Europa eingewanderten Physiker, die unbedingt den Deutschen zuvorkommen wollten. Zwar lagen in den USA Informationen vor, dass man in Deutschland keine Atombomben baue, doch diese Nachrichten erreichten die Physiker nicht. Stattdessen bestärkte die Aussage eines deutschen Flüchtlings Fritz Reiche die Furcht der Amerikaner vor der deutschen Bombe.

 

 

Reiche war ein besonders tragischer Fall. Er hatte am 1. Weltkrieg teilgenommen und wurde 1934 als 51-Jähriger von seinem Lehrstuhl für theoretische Physik in Breslau mit nur minimalen Bezügen zwangspensioniert. Anschließend vegetierte mit seiner Familie 7 Jahre in Berlin. Wegen seines Alters war es schwer, für ihn eine Professur im Ausland zu finden. Doch dann gelang ihm im März 1941, kurz bevor die deutsche Grenze für Juden geschlossen wurde, über Portugal die Ausreise in die USA. Der inzwischen Großdeutsche Fritz Houtermans einer der Mitarbeiter beim deutschen Atomprogramm gab Reiche folgende Nachricht mit auf den Weg: Heisenberg will eine deutsche Atombombe verhindern, doch keiner weiß, wie lange er dem Druck der Regierung noch widerstehen kann. Nach dieser Aussage blieb der Ehrgeiz der amerikanischen Physiker, den Nazis beim Bau der Bombe zuvorzukommen, ungebremst.

Der junge Heisenberg 

 

 

Das Kopenhagener Paradoxon (1941)

 

Im September 1941 besuchte Heisenberg Niels Bohr im besetzten Kopenhagen, um, wie er es in seinen Memoiren formuliert hat, zu erreichen, dass sich sein Lehrer und Freund für ein Atombombenmoratorium auch auf Seiten der Alliierten einsetzen möge. Nach Heisenbergs Version begann er das Gespräch mit Bohr mit der vorsichtigen Frage, ob es moralisch vertretbar sei, dass Physiker an Atomprojekten arbeiten, wenn der Bau einer Bombe grundsätzlich möglich ist. Anschließend deutete er an, dass man in Deutschland keine Atombombe baue. Bohr, der wie viele seiner Kollegen bis zu diesem Zeitpunkt die feste Meinung vertreten hatte, eine Bombe sei technisch unmöglich, erregte sich so sehr über die Mitteilung Heisenbergs, dass er die weiteren Ausführungen seines Lieblingsschülers nicht mehr wahrnahm und schließlich im Zorn von ihm schied.

Powers kommentiert Heisenbergs Versuch recht sarkastisch: We have driven out all those Jewish physicists and now they are working on a bomb in America - dear Niels, can't you ask them to back off?

 

 

Als Bohr schließlich 1943 nach einer abenteuerlichen Flucht über Schweden in die USA kam, brachte er eine Zeichnung Heisenbergs mit, auf der keine Atombombe skizziert ist, sondern die klar das Prinzip eines mit schwerem Wasser moderierten Reaktors illustriert. Diese Nachricht wurde von den Hardlinern des Manhattan-Projekts als Täuschungsmanöver Heisenbergs abgetan. Später erinnerte sich Bohr an das Gespräch mit Heisenberg ganz anders: Er hätte damals den Eindruck gewonnen, dass Heisenberg und die Deutschen an einer Bombe arbeiteten.

 

   

Die deutsche Entscheidung zum Bau einer Uranmaschine (1942)

 

Die entscheidende Sitzung zum deutschen Atomprogramm fand Anfang Juni 1942 in Berlin statt. Außer Rüstungsminister Albert Speer und Heisenberg nahmen u. a. General Friedrich Fromm und Feldmarschall Erhard Milch sowie die Physiker Hans Jensen, Karl Wirtz, Karl Friedrich von Weizsäcker und Erich Bagge daran teil, um nur die zu nennen, die dann aktiv am deutschen Atomprogramm mitgearbeitet haben. Der innerer Kreis der Forscher war bei den Kollegen unter dem Kürzel WHW bekannt: Heisenberg zwischen Weizsäcker und Wirtz.

 

Speer erinnert sich an dieses Treffen: Heisenberg trug über Atomzertrümmerung, die Entwicklung der Uranmaschine und eines Teilchenbeschleunigers, des Zyklotrons, vor. Bei seinem Vortrag bemühte sich Heisenberg, den Propagandaslogan der Nazis: Die deutsche Wissenschaft steht im Dienste des Krieges umzudrehen, indem er den Krieg in den Dienst der Wissenschaft stellen wollte. So klagte er über den Mangel an Material und Geldmitteln für bereits genehmigte Forschungsvorhaben sowie über die Einberufung begabter Physiker zum Kriegsdienst. Das sei ganz und gar anders bei den Amerikanern, die bereits einen gewaltigen Vorsprung auf dem Gebiet der Kernforschung haben dürften. Auf Nachfrage betonte Heisenberg, dass dem Bau einer Atombombe rein wissenschaftlich nichts im Wege stünde, doch würden die industriellen Vorbereitungen in Deutschland mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen. Speer bot daraufhin an, große Zyklotrone zur Isotopentrennung bauen zu lassen. Heisenberg antwortete, dass man in Deutschland aus Mangel an Erfahrung zunächst mit einem kleinen Gerät beginnen müsse.

Später forderte Heisenberg für weitere Forschungen an der Uranmaschine nur einige 100 000 Mark. Darüber war Speer war so befremdet, dass er eigenmächtig die Summe auf 2 Millionen Mark aufstockte. Als man dann 1943 in Deutschland ernsthaft zur experimentellen Reaktorphysik übergehen wollte, stellte sich heraus, dass die Wehrmacht in Ermangelung von Wolfram die vorhandenen Uranvorräte bereits zur Herstellung von panzerbrechenden Geschossen beschlagnahmt hatte.

 

 

Deutsche Kontakte mit dem Ausland (1942)

 

Da man in Deutschland nur über ein stark mit Bor verseuchtes Graphit verfügte (Bor ist ein besonders effektiver Neutronenfänger), setzte man bei dem geplanten Reaktor mit natürlichem Uran auf eine Neutronenmoderierung durch schweres Wasser. Die einzige Anlage zur Schwerwassererzeugung befand sich damals in Rjukan im besetzten Norwegen.

 

Jensen und Wirtz auf ihren Reisen dorthin, die auch immer über Kopenhagen führten, versuchten im Ausland weiterhin die deutsche Position in der Atomforschung zu erläutern. Doch ein Besuch Jensens bei Bohr war ebenso erfolglos wie der von Heisenberg. Bohr gab Jensen zum Abschied mit: Tell Professor Heisenberg, I am not the pope, I cannot give absolution. Diese eigenartige Bemerkung mag sich auf Heisenbergs Äußerungen zur deutschen Hegemonie in Europa beziehen, denn nach einigen Quellen soll er seinen Kopenhagener Dialog mit der Feststellung eröffnet haben, dass Deutschland nun Europa beherrsche und es deshalb klug sei, wenn Bohr mit den Besatzern zusammenarbeite.

 

Wirtz dagegen wurde mit seinen Äußerungen in Norwegen, dass sich die deutschen Forschungsanstrengungen auf eine energie-erzeugende Maschine und keine Bombe richteten, vom britischen Geheimdienst als Agent provocateur eingestuft.

 

Weitere Informationen über das deutsche Atomprogramm erreichten die USA 1942 über Italien und die Schweiz. Bei einem Besuch in Berlin gewann der Italiener Carlo Wick die Überzeugung, dass Deutschland keine Atombombe entwickelt. Zudem vertraute Heisenberg seinem ehemaligem Schüler an: Was denken Sie über den Krieg Herr Wick. Sollten wir hoffen, dass wir ihn verlieren?  Auf seiner Rückreise nach Italien folgte Wick einer Einladung des Schweizer Nobelpreisträgers Paul Scherrer zu einem Seminar an der ETH Zürich. Scherrer war damals ein informeller Mitarbeiter von Allan Dulles, Leiter der Abteilung des Office of Strategic Services (OSS), d. h. des amerikanischen Geheimdienstes, in der Berner Botschaft.

 

Wick glaubte, sich klar über den Stand der deutschen Atomentwicklung ausgedrückt zu haben, doch Heisenberg blieb den Amerikanern suspekt und schien weiterhin gefährlich zu sein. So schlug Weisskopf, nachdem er von einem geplanten Vortrag Heisenbergs in Zürich erfahren hatte, vor: I believe that by far the best thing to do in this situation would be to organize a kidnapping of Heisenberg in Switzerland. Mit Nazideutschland durfte man kein Risiko eingehen. Schließlich saß der Schock von Pearl Harbor bei den Amerikanern tief.

 

 

Das Manhattan-Projekt (1942-45)

 

Dagegen wurde ab 1942 in den USA in drei neuen Zentren an einer Atombombe gearbeitet. In Oak Ridge, Tennessee betrieb man die Isotopentrennung von Uran 235 aus Natururan, in Hanford, Washington State, erzeugte man Plutonium in Reaktoren, die mit dem Wasser des Columbia Rivers gekühlt wurden.  Als Vorbereitung dazu hatten Enrico Fermi und Leo Szilard im Dezember 1942 eine Kettenreaktion in einem Meiler aus Natururan und Graphit unterhalten und so den ersten Reaktor der Welt unter dem Fußballstadion von Chikago gebaut. 

 

 

Schließlich wurde in New Mexico die Stadt Los Alamos aus dem Boden gestampft. Hier beschäftigte man sich mit der Bombentechnik. Der organisatorische Leiter des Manhattan-Projekts war General Leslie Richard Groves, zum wissenschaftlichen Leiter wurde ein Schüler Max Borns, Robert Oppenheimer bestimmt. Hans Bethe leitete die theoretische Abteilung. Zur  Berechnung der Bombenparameter entwickelte John von Neumann, wie er sich nun nannte, die ersten elektronischen Rechenmaschinen. die als ENIAC und MANIAC in die Geschichte eingingen. Andere bekannte „europäische Forscher" am Manhattan-Projekt waren: Edward Teller (später der Vater der Wasserstoffbombe), Enrico Fermi, Felix Bloch, James Franck, Otto Frisch, Eugene Wigner, Leo Szilard und Klaus Fuchs.  

 

 

 

Walter Gerlach

 

 

Die deutsche Bombe, ein Hirngespinst? (1943/44)

 

Die Furcht der Amerikaner vor einem deutschen Atombombenabwurf nahm Weihnachten 1943 hysterische Züge an, als man in dem damaligen Noch-Zentrum der Atomforschung Chicago Strahlendetektoren aufstellte und die Wissenschaftler ihre Familien vorsorglich aufs Land schickten.

 

In der Tat, das Office of Strategic Services (OSS) in Washington geleitet von Wild Bill Donovan hatte bis Ende 1943 praktisch keine harten Informationen über das deutsche Atomprogramm. Es musste etwas geschehen, denn die amerikanischen Wissenschaftler warfen inzwischen den Militärs vor, die Gefahr einer deutschen Atombombe nicht ernst zu nehmen. Schließlich müsse in Deutschland nur jemand auf eine clevere Idee kommen, wie sich U235 leicht von U238 trennen lässt.

 

Da unterrichtete im Januar 1944 der britische Geheimdienst die Amerikaner, dass die Atomforschung in Deutschland lediglich auf den Bau eines Reaktors gerichtet sei. Darüber hinaus erfuhr Paul Rosbaud, der Herausgeber der Zeitschrift Naturwissenschaften und Informant der Engländer im Dezember 1944 durch seinen Freund den Physiker Walter Gerlach, dass der deutsche Atomreaktor noch nicht einmal Kritikalität erreicht habe. Der Leiter des Manhattan-Projekts General Groves ignorierte all diese Informationen. Schließlich wollte er seine Wissenschaftler bei der Stange halten.

 

Die Rolle des amerikanischen Geheimdienstes in dieser Zeit bleibt vollkommen undurchsichtig. Als im Dezember 1944 Werner Heisenberg zusammen mit Karl Friedrich von Weizsäcker von Paul Scherer zu einem weiteren wissenschaftlichen Vortrag an die ETH Zürich eingeladen wurde, saß im Hörsaal der OSS-Agent und ehemalige Baseballspieler Morris Berg, den Alan Dulles mit Paul Scherrers Hilfe dort eingeschleust hatte. Zwar hatte Berg einen Crash-Kurs in Physik bei Bob Robertson in England absolviert, konnte aber ähnlich wie der Experimentalphysiker Scherrer den theoretischen Ausführungen Heisenbergs, der über die Streumatrix vortrug, nicht folgen. Zu der Zeit wusste niemand im Saal, dass Berg eine geladene Pistole bei sich trug, um den Leiter des deutschen Atomprojekts zu erschießen, sollte der sich zur deutschen Bombe äußern. Zu diesem politischen Mord in der neutralen Schweiz ist es bekanntlich nicht gekommen. Die Nachsitzung zum Physikalischen Seminar, bei der Heisenberg einige unpassende Bemerkungen zur Ardennenoffensive einfließen ließ, fand im Restaurant Kronenhalle statt. Morris Berg begleitet Heisenberg von dort aus allein zu seinem Hotel und war anschließend überzeugt, dass es keine deutsche Atombombe gab.

 

 

Offene Fragen

 

Es bleiben offene Fragen. Nahm der amerikanische Geheimdienst trotz aller gegenteiligen Informationen tatsächlich noch im Dezember 1944 an, dass Deutschland über eine Atombombe verfügte? Verließ sich das OSS dabei auf das Entscheidungsvermögen eines Killers oder war der geplante Anschlag auf Heisenberg nur ein Bluff, um bei der Nachwelt den Eindruck zu erwecken, man sei noch bis Ende 1944 davon überzeugt gewesen, die Deutschen hätten eine Atombombe besessen?

 

 

So ließ sich die Arbeitsmoral der Wissenschaftler am Manhattan-Projekts ohne Schwierigkeiten bis zum Frühjahr 1945 aufrechterhalten. Dass die Sorge über einen erlahmenden Arbeitseifer der Amerikaner nicht unbegründet war, zeigten die moralischen Zweifel einiger Mitarbeiter nach der Niederlage Deutschlands. Diese wurden durch den Eindruck der atomaren Testexplosion in der Wüste von Nevada noch verstärkt: Sollte man für ein rasches Kriegsende den Japanern die Wirkung der Bombe nur demonstrieren, oder sie tatsächlich abwerfen?

 

 

 

Werner Heisenberg 1959

 

 

Die moralische Position

 

Nach dem Krieg hatten die Amerikaner die deutschen Atomwissenschaftler im Rahmen der ALSOS-Mission (Die Mission ist wurde nach General Groves benannt, denn Alsos bedeutet griechisch Hain.) in England interniert, jedoch nicht als Kriegsgefangene, sondern nach altem englischen Recht konnten sie als Gäste Ihrer Majestät während sechs Monaten in Gewahrsam genommen werden.

 

Als dort die deutschen Wissenschaftler im Radio vom Atombombenabwurf auf Hiroschima erfuhren, beschimpfte der Chemiker Otto Hahn in einer ersten Reaktion seine anwesenden Physikerkollegen als zweitklassig. Als er aber dann von der verheerenden Wirkung der Bombe hörte, ging er mit Selbstmordgedanken um. Während die Deutschen noch in Farm Hall interniert waren, erhielt Hahn 1946 ironischerweise den Nobelpreis des Jahres 1944 für seine Experimente, die zur Atombombe führten, zugesprochen.

 

Die deutschen Physiker haben dann später immer darauf hingewiesen, wie erleichtert sie seien, die Bombe nicht haben bauen zu müssen.

 

Es war Heisenberg, der nach dem Krieg weiterhin im Mittelpunkt stand. Auch lange Jahre danach nahm ihm der Großteil der internationalen Physikergemeinschaft nicht so sehr seine Vaterlandsliebe während des Naziregimes, sondern seine dürren und, wie sie meinten, häufig moralisierenden Äußerungen zum deutschen Atombombenprojekt übel. Hatte Heisenberg etwas zu verbergen oder hatte sein Gespräch mit Bohr ihn gelehrt, dass ungeschickte Formulierungen eine Situation nur verschlimmern können?

 

So müssen wir uns an die in der der Erinnerung sicherlich verklärte Stellungnahme zur Atombombe halten, die der später vom Physiker über den Philosophen zum Friedensforscher mutierte Carl Friedrich von Weizsäcker so formulierte:

 

Man muss verstehen, dass es für die amerikanischen Physiker, die sich vielfach durch die Atombombe selbst in ihrem Gewissen bedrängt fühlen, eine zu große Anforderung ist, öffentlich (in vielen Fällen auch nur vor dem eigenen Bewusstsein) zuzugeben, dass die deutschen Physiker sich über die moralische Seite der Sache schon früher ausführlichere Gedanken gemacht haben als die meisten von ihnen. Auch finde ich uns Deutsche nicht in einer Lage, die uns das Recht geben könnte, irgendeinen Anspruch dieser Art öffentlich zu erheben. Während ich in der Tat meine, dass wir schon sehr früh über das moralische Problem der Atombomben nachgedacht und dass wir in dieser Hinsicht im Krieg jedenfalls nichts getan haben, was wir uns heute vorwerfen müssten, finde ich, dass wir als Nation und im allgemeinen auch als Einzelperson das moralische Problem des Nationalsozialismus zu wenig gemeistert haben, als dass wir uns jetzt aufs hohe Ross setzen könnten. Dazu kommt, dass in der Tat die Erkenntnis unserer technischen Unfähigkeit, im Krieg Atombomben herzustellen, uns die eigentliche moralische Entscheidung erspart hat. Wie wir uns verhalten hätten, wenn wir die Bomben wirklich hätten machen können, wage ich nicht zu sagen. Ich vermute, wir wären mit uns selbst ebenso uneins gewesen, wie es inzwischen die amerikanischen Physiker sind. Deshalb haben Heisenberg und ich immer die Form gewählt, öffentlich nur zu sagen, dass wir die Bomben nicht machen konnten und dass wir froh darüber waren.

 

 

 

Allerdings bleibt trotz oder gerade wegen dieser Äußerung die Position der deutschen Forscher zum Bau der Atombombe letztlich ambivalent: Konnten sie und wollten sie nicht die Bombe bauen, wie Robert Jungk meint, oder wollten sie nicht und konnten sie nicht, eine Position, die in etwa Thomas Powers vertritt, oder wollten sie und konnten nicht, wie ihnen Paul Lawrence Rose in seinem Buch unterstellt.  

 

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Literatur

 

Heis69: Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze, R. Piper Verlag München 1969
 

Irvi67: David Irving, The German Atomic Bomb. The history of nuclear research in Germany,
             Simon & Schuster, New York 1967

 

Jung58: Robert Jungk, Heller als tausend Sonnen, Das Schicksal der Atomforscher, Stuttgart 1958

 

Meda00: Jean Medawar and David Pyke, Hitler's Gift, Scientists who Fled Nazi Germany,
                Judy Piatkus Publishers, London 2000

 

Powe93: Thomas Powers, Heisenberg's War, The Secret History of the German Bomb,
                 Little, Brown and Company, Boston 1993

 

Rose98: Paul Lawrence Rose, Heisenberg and the Nazi Atomic Bomb Project,
              A Study in German Culture,
University of California Press, Berkely 1998

 

Volp99: Jorge Volpi, Das Klingsor Paradox, J. G. Cotta'sche Buchhandlung, Stuttgart 1999
 

 

This page was last updated on 14 April, 2023